Audioaufnahme
Beschreibung
Seneca schrieb einen guten Teil seiner Gedanken in Form von Briefen an seinen Freund und Geschäftspartner Plinius. Einer dieser Briefe behandelt die Klage der Menschen, dass das Leben zu kurz sei und wie man es doch zu nutzen vermag.
De Breviae vitae
Von der Kürze des Lebens
Die meisten Menschen, mein Paulinus, klagen über die Bosheit der Natur: unsere Lebenszeit, heißt es, sei uns zu kurz bemessen, zu rasch, zu reißend verfliege die uns vergönnte Spanne derZeit, so schnell, daß mit Ausnahme einiger weniger den anderen das Leben noch mitten unter den Zurüstungen zum Leben entweiche. Und es ist nicht etwa bloß der große Haufe und die unverständige Menge, die über dies angeblich allgemeine Übel jammert, nein, auch hoch an-gesehene Männer haben, von dieser Stimmung angesteckt, sich in Klagen ergangen. Daher je-ner Ausruf des größten der Ärzte: «Kurz ist dasLeben, lang die Kunst. ̈ Daher der einem Weisen wenig ziemende Hader des Aristoteles mit der Natur: «Die Natur habe es mit den Tieren so gut gemeint, daß sie ihnen fünf, ja zehn Jahr-hunderte Lebenszeit vergönne, während demMenschen, der für so vieles und für so Großes geboren sei, ein so viel früheres Ende …