Dieses Essay war Teil eines Seminars zu „Vokabeln visueller Kultur“. Ziel war es, zwei Begriffe zu beschreiben, die augenscheinlich nicht ganz so viel miteinander zutun haben.
Einleitung
Es scheint in der gemeinsamen Weltordnung von Menschen mehrere Begriffe zu geben, die eine Art übergeordnete Position einnehmen. Etwas, aus dem das sich das Weltbild erst herauskristallisieren kann. Einer dieser Begriffe scheint „Kultur“ zu sein, ein anderer „Medium“. Das Seminar hat bisher gezeigt, dass viele andere Begriffe unseres Diskurses ein Teil von Kultur/Medium gewesen sind und somit auf die eine oder andere Weise darin aufgehen. Dieses Essay möchte sich den Begriffen „Kultur“ und „Medium“ nähern und sie in einen geeigneten Zusammenhang setzen.
Teil 1: Was ist „Kultur“?
Aufgrund der Überordnung, die der Begriff „Kultur“ gegenüber den anderen im Seminar besprochenen Begriffen und Konzepten einnimmt, ist er erst einmal schwieriger abzugrenzen. Wir kennen Kultur in der Vielfältigkeit der Ausprägung, etwa als „Kulturgut“, als „Kultur des Geistes“, als „Firmenkultur“, oder ähnliches. Einen Anhaltspunkt gibt das „Philosophische Wörterbuch“[1] von Schmidt und Schischkoff. Dort heißt es:
„Übertragen bedeutet Kultur Pflege, Verbesserung, Veredelung
der leiblich-seelisch-geistigen Anlagen und Fähigkeiten des Menschen“
Es geht also stets darum etwas entweder zu bewahren oder eben zu verbessern. Ganz im Sinne des lateinischen Wortursprunges („colere“: pflegen, [Acker] bebauen, ausbilden) scheint es darum zu gehen, die gegebenen Ressourcen und Umstände vor dem Verfall zu schützen, oder aber in ein Set von als besser verstandenen Umständen zu transformieren. Wichtig dabei ist der Mensch, was im nächsten Teil der Definition von Schmidt und Schischkoff klar wird:
„Im umfassendsten Sinne ist Kultur die Gesamtheit der Lebensbekundungen, der Leistungen und Werke eines Volkes oder einer Gruppe von Völkern. Sie ist der Inbegriff für jenen neuartigen Prozess auf Erden, dessen Einzelprodukte nur menschliche Schöpfungen sind und niemals von der Natur hervorgebracht worden wären.“
Eine Gesamtheit von Lebensbekundungen ist ein sehr umfassender Begriff, der schon fast von dem Versuch einer Definition von Kultur ablenkt. Doch wie bekundet der Mensch, dass er lebt? Simpel: Er erschafft Dinge! In der Archäologie oder anderen historischen Forschungen finden sich stets Zeugnisse von menschlichem Wirken in menschlichen Hinterlassenschaften. Von der sumerischen Keilschrift, bis hin zu einfachen keltischen Grabstätten war es den Menschen wichtig, ihre Kultur auch in materiellen Dingen und den damit einhergehenden Riten auszudrücken. Sie bekundeten damit ihr Dasein, erst gegenüber sich selbst und dann gegenüber ihren Nachfahren. Hinzu kommt der Mensch an sich, ohne den die Kultur gar nicht möglich wäre. Die Bibel spricht vom Menschen als Ebenbild des Schöpfers und meint damit ein stückweit dessen Fähigkeit die Erde um sich herum nachhaltig, tiefgreifend und im Kontext seiner Kultur, Religion und Überzeugung zu verändern. Wenn wir nach Zeichen des Lebens suchen, dann suchen wir immer nach solchen Zeichen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das in Göbekli Tepe ist, oder auf dem Mars.
Es lässt sich leicht argumentieren, dass wir damit nach Spuren von Zivilisation suchen und daraus die Existenz von Kultur rechtfertigen. Schmidt und Schischkoff liefern auch hier eine Antwort auf die sich aufdrängende Frage:
„Der Unterschied zwischen Kultur und Zivilisation besteht im deutschen Sprachgebrauch darin, dass Kultur der Ausdruck und der Erfolg des Selbstgestaltungswillens eines Volkes oder eines Einzelnen ist, während Zivilisation das Insgesamt[sic] der Errungenschaften der Technik und des damit verbundenen Komforts ist.“
Mit dem Stichwort Komfort lässt sich gut die Spreu vom Weizen trennen. Somit ist das Verlegen einer Stromleitung in einem Neubau eher Zivilisation (und damit Komfort), wohingegen die Verwendung von künstlichem Licht und der damit verbundenen Veränderung der Lebensweise von Menschen eher Kultur ist.
Kultur ist zudem ein ständig neu verhandelter Begriff. Wir kennen die Kritik an Kultur, ebenso wie Kulturpessimismus und die immerwährende Angst vor kulturellem Verfall. Ohne es genau zu merken, verwenden wir Kultur als Bühnenbild unserer Orientierung in der Welt. Ihre bloße Existenz gibt Halt und Sicherheit, weshalb ihr Verfall so beängstigend erscheint. Damit ist Kultur nicht bloß „schützenswert“ im Sinne eines kulturellen Erbes, sondern gar lebensnotwendig im Sinne einer Orientierung in der Welt.
Teil 2: Was bedeutet „Medium“?
Das Wort „Medium“ findet in der Welt des frühen 21. Jahrhunderts eine inflationäre und oft nicht ganz richtige Verwendung. Der Begriff, der spätestens mit McLuhans Werk „The Medium is the Message“ einen Einzug in den Sprachgebrauch der Forschenden, Marketingbeauftragten und politisch Arbeitenden gefunden hat, hat seine Ursprünge schon in der Antike. Medium ist im Latein eine Sache, die zwischen zwei Dingen steht. Dabei kann es sich um ein Kommunikationsmedium handeln, um Schrift, Sprache oder aber auch um Menschen und Gegenstände. Unser heutiger Begriff des Mediums ist davon etwas abgewichen und schließt eher kommunikative Dinge ein. Dieses Essay bemüht mit Absicht eine Definition aus „Medienlexikon: Kommunikation in Gesellschaft und Staat“[2], welches 1979 (und somit vor dem Internet) veröffentlich wurde. Dort heißt es: „Medien sind Mittel und Vermittler, deren man sich bedient, um anderen etwas mitzuteilen. Der Vorgang der Mitteilung und die durch das Mitteilen entstehende Beziehung ist die Kommunikation. Medien sind somit Kommunikationsmittel, ohne die keine Kommunikation möglich wäre.“ Es liegt auf der Hand, dass jede Form von Kommunikation auch ein Werkzeug benötigt, dass diese Kommunikation ausübt. Döhn und Klöckner legen in ihrer Definition großen Wert auf die die Trennung zwischen Massenmedien und anderen Formen der Medien. Zitat: „[…] auch diese technischen Medien sind sozusagen Hilfsmittel für die ursprünglichsten Medien: die Sprache und den Körper als Medium für körperliche Gesten. Bereits die Vermittlung einfachster Zeichen benötigt solche Medien, wie sie etwa das noch nicht sprachfähige Kleinkind verwendet, um Lust und Unlust, Hunger und Schmerz auszudrücken.“ Ihre Erklärung beschreibt das, was später mit „The Medium is the message“ in klangvolle Worte gekleidet wird. In ihren Worten: „Sehr lange hat man seine Aufmerksamkeit vornehmlich auf die Mitteilung gerichtet und darüber das Mittel zu wenig beachtet. Denn das Medium als Mittler der Kommunikation ist nicht einfach nur ein technisches Erfordernis, das bei der Kommunikation als Transportmittel dient, ohne daß der Vorgang der Kommunikation und die Kommunikationsinhalte – die Mitteilungen davon beeinflußt würden. Vielmehr prägt bereits ein so ursprüngliches Medium wie die Sprache die Kommunikation, was sie vermittelt und wie es vermittelt wird.“
Das Medium als Instanz wird somit als Erfordernis herausgestellt; wie sollte es auch anders sein? Ohne etwas, das vermittelt, kann nichts vermittelt werden, ebenso wie ohne leitfähiges Material kein Strom fließen kann, oder auch ohne Sichtkontakt keine Mimik ausgetauscht werden kann.
Ein besonderes Augenmerk ist der gemeinsame Schöpfungsprozess. Das Beispiel der Autoren ist die Sprache, denn „Sprache ist nicht ein Medium, das sich ein einzelner Mensch selbst geschaffen hat. Vielmehr ist sie ein gesellschaftlich entstandenes gesellschaftliches Medium, in dem sich auch Entwicklung und Zustand der Gesellschaft ausdrücken.“ Die meisten von uns verwendeten Medien haben ihre Urheberschaft im Kollektiv. Sie sind somit eine gemeinsame Errungenschaft, durch die unser Zusammenleben erst gestaltet werden konnte. Ohne Medien keine Kommunikation, ganz einfach. Dabei spielt das Medium an sich noch keine Rolle, seine bloße Existenz ist wichtiger.
Döhn und Klöckner beschreiben weiter den Effekt und das Ausmaß der Veränderung unserer verwendeten Medien, wobei es vornehmlich um technische Aspekte geht: „Die Leistung der Medien trägt dazu bei, die Leistungen der Menschen in ihrer wirtschaftlichen, geistig-kulturellen und politischen Tätigkeit zu steigern.“ Sie führen Beispiele wie Sprache, Schrift, aber auch Buchdruck, Radio, und Fernsehen an. Wenn sie es damals gekannt hätten, dann sicherlich auch das Internet mit Social Media, E-Mail, News-Tickern und ähnlichem.
Als letzter Punkt sei auf die Kraft der politischen Meinungsbildung verwiesen. Wer die meistverwendeten Medien seines Staates kontrolliert, der kontrolliert auch den Informationsfluss von politischer Kommunikation. Egal ob mit integren oder malefizienten Absichten, Medien stellen eine gewisse Macht dar. Die Wellen, welche die Aktionen der Firmen Twitter, Google und Facebook (jetzt Meta) schlagen, machen das noch einmal deutlich. Nach Döhn und Klöckner ist folgendes wichtig: „Um nicht einerseits Ängsten und andererseits Verharmlosungen und Täuschungen ausgesetzt zu sein, sollte man Kenntnisse über das allgegenwärtige und zugleich weithin unbekannte System der Medien erlangen. Eine Gesellschaft, die über sich selbst bestimmen will sollte sich auch in die Lage versetzen, sachgerecht über die Medien und ihre weitere Entwicklung und Nutzung bestimmen zu können.“ Es ist also wichtig sich selbst als Individuum in der Gesellschaft zu verorten und sich vor Augen zu führen, welchen Effekt Medien auf den Einzelnen haben können. Jede Form der Kommunikation hat auch eine Zielsetzung, die vom verwendeten Medium beeinflusst wird. Schlussendlich macht der Ton die Musik und nicht die Intention des Komponisten.
Teil 3: Synthese „Was hat „Kultur“ mit „Medium“ zutun?“
Die These ist simpel: Ohne die Verwendung von Medien gibt es keine Weitergabe von Kultur! Das Zusammenleben von Menschen organisiert sich in der Weitergabe gewisser Kulturgüter. Wir legen großen Wert auf gewisse ungeschriebene Gesetze unserer Gesellschaft. Das drückt sich in Tischmanieren, dem Weihnachtsgottesdienst, der Idee von Ehe oder auch unserer Vorstellungen von Lehre, Erziehung, Romantik oder Unterhaltung aus. All diese Dinge bilden Teile des großen Puzzles, welches wir als Kultur bezeichnen. Die Kleinteile von Kultur können wir teilweise unter „Riten“, „Bräuche“, „Manieren“, „Gepflogenheiten“ und ähnlichem subsumieren. Andere Bestandteile beinhalten Schriftsprache, verbale Sprache, Umgangsformen, Verhaltensweisen in romantischen und/oder sexuellen Beziehungen und vielem mehr.
Doch wie gelangen diese Dinge von Mensch zu Mensch? Abseits von solchen Projekten die dem Knigge, gibt sind es die kürzeren Wege zwischen Menschen. Medien wie Texte, Filme, Serien, Bücher, aber auch Reels, Posts, Chats und ähnliches stellen diese Schnittstelle dar. Am Beispiel von anderen Menschen, transportiert über unterschiedliche Medien, lernen wir „was man halt so macht“. Dort schließt sich der Kreis, denn wie wir etwas erfahren beeinflusst stark, wie wir es bewerten. Es macht einen großen Unterschied, ob die katholische Kirche oder das Institut für Genderforschung über sexuelle Vielfalt aufklärt. Ebenso will man nicht von einer amtierenden Regierung wissen, wie sich einige Umweltschützer besser oder schlechter Verhalten hätten. Die prägenden Dinge unserer Kultur sind abhängig vom Licht, in dem sie betrachtet werden; oder anders: The medium shapes the message.
Ebenso wie man nicht Nicht-Kommunizieren kann (nach Paul Watzlawick) kann man auch keine Kultur weitergeben, ohne sich vorher ein Medium dafür auszusuchen. Von unseren Anfängen der jetzt westlichen Kultur mit der Bibel und dem Christentum an, bis hin zur Schnelllebigkeit von Social-Media haben wir unsere kulturellen Praktiken transportiert und verhandelt, unter Zuhilfenahme verschiedenster Medien. Versucht man das zu trennen löst man die Kommunikation unter Menschen auf und dann kann kultureller Austausch nicht mehr stattfinden.
Welche Medien wir verwenden richtet sich ebenfalls nach unserer Kultur. Das merkt man an kulturellen Unterschieden zwischen verschiedenen Völkern. Was im Nahen Osten zum Usus gehört funktioniert unter Umständen nicht auf Island. Die Sprache, die in Tweets verwendet wird, ist genauso Kulturgut, wie die Poesie der Veden oder der Azteken.
In gegenseitiger Wechselwirkung mit unnachgiebiger Notwendigkeit bedingen sich „Kultur“ und „Medium“. Das eine funktioniert nicht ohne das andere, weshalb ein Dialog über das eine auch stets das andere evoziert und umgekehrt.
[1] SCHMIDT, Heinrich und Georgi SCHISCHKOFF, 1991. Philosophisches Wörterbuch. 22. Aufl. / neu bearb. von Georgi Schischkoff. Stuttgart: Kröner. ISBN 3-520-01322-3
[2] DÖHN, Lothar und Klaus KLÖCKNER, 1979. Medienlexikon: Kommunikation in Gesellschaft und Staat. Baden-Baden: Frevert. ISBN 3-7971-0163-5 , alle in diesem Textabschnitt verwendeten Zitate sind aus dieser Ausgabe.