Das folgende Essay ist Teil einer akademischen Studienleistung gewesen. Das Thema des Seminars lautete „Vokabeln visueller Kultur“. Im Seminar selbst sprachen wir über Begriffe, die wir im Alltag verwenden, ohne dass deren tiefere Bedeutung oder Geschichte direkt evident ist. Meine Prüfungsleistung drehte sich um das Wort „Cyber“.
Einführung ins Thema
Versetzen wir uns gedanklich in die Zeit der späten 1980er. Technologie war tatsächliches Neuland für viele Menschen und die Idee, dass es Computer in Privathaushalten geben könnte, war noch einige Jahre entfernt. Man kannte komplexe Technik aus Filmen und Büchern; etwa K.I.T.T (Knight Rider), HAL (Space Odyssey), James Bond, oder auch die Science-Fiction Ideen von Frank Herbert (“Dune“) oder Isaac Asimov („Foundation“). Technologie hatte etwas Unerreichbares und Phantasievolles. Ken Olson, Präsident, Vorsitzender und Gründer von Digital Equipment Corp sagte noch 1977 auf dem Kongress der World-Future-Society: „Es gibt keinen Grund, warum irgend jemand einen Computer in seinem Haus wollen würde.“ Hier sind wir nun, ein halbes Jahrhundert später, und ich tippe diesen Text auf einem handelsüblichen Computer.
Technologie war in weiten Teilen eine Spielerei von Außenseitern (aka Nerds) oder ein Privileg von Firmen. Zwar kannte man die Möglichkeiten der Technologienutzung schon zur Genüge, doch es blieb eine Randerscheinung. Zur Zeit des Ausspruchs von Olson war die Mondlandung gerade erst 8 Jahre her und dennoch glaubte er nicht an eine disruptive Weiterentwicklung der dort verwendeten Technologien. Die Rechenleistung, welche Neil Armstrong auf den Mond brachte, beträgt einen tausendfachen Bruchteil des Arbeitsspeichers eines gewöhnlichen Smartphones, vielleicht auch die eines graphischen Taschenrechners.
Der Einzug der Technologie in die Privathaushalte, mit Festnetztelefon, Fax-Geräten, Heimcomputern und schlussendlich dem Internet, kam erst Ende der 80er so richtig in Fahrt. 1984 hatte Apple den Macintosh vorgestellt und damit nicht nur den Weg für den eigenen Aufstieg geebnet, sondern auch für eine Generation von Technologieaffinen und Fortschritt-Begeisterten. Im Werbespot zum Macintosh verwendete das Unternehmen die klare Ansage: „Why 1984 won‘t be like 1984!“ mit der direkten Anspielung auf die dystopischen Vorstellungen von George Orwell.
Innerhalb kurzer Zeit veränderte sich die kulturelle Landschaft. Computer fanden ihre Wege in Firmen, Telefonanlagen in Unternehmen und Fax-Geräte in Ämter (da sind sie ja heute noch). Die Welt wuchs ein Stückchen näher zusammen. Die Begriffe jedoch, welche man für all diese Prozesse verwendete, mussten jedoch erst neu geschaffen werden. Man orientierte sich dafür am bisher Bekannten und veränderte es für die neuen Zwecke. In seinem Buch „Paper an elegy“ skizziert Autor Ian Samson diese Geschichte, der im digitalen Zeitalter verwendeten, haptischen Begriffe. Das Buch orientiert sich dabei bewusst an Papiermetaphern. Es untersucht Worte wie „Webseite“, „Word-Dokument“, „Digitales Zertifikat“ und viele mehr. Technische Begriffe spart der Autor bewusst aus, doch die Methodik bleibt. Die Beschreibungen des Internets kamen zuerst aus der technischen Entwicklung. Selbst das Wort „Internet“ ist eine Zusammensetzung des lateinischen „inter“ (zwischen) und dem Englischen „net“ (Netzwerk) und beschreibt die ursprüngliche Idee des Zusammenschlusses von einzelnen militärischen und universitären Netzwerken. Dieses Essay möchte sich einem weiteren dieser Begriffe annähern, welcher über Umwege seinen Weg in die Sprache der digitalen Kultur gefunden hat. Die Rede ist vom Wort(-Bestandteil) CYBER.
Ziel
Das Wort (oder Morphem) Cyber- begleitet uns stumm seit gut sechzig Jahren. Es gehört zu den Begriffen der digitalen Kultur, welche eine gewisse Stimmung (einen Vibe) erzeugen können und dabei vielmehr kulturbildend als technologie-beschreibend sind. „Cyber-“ ist vielmehr Teil einer Ästhetik, als eine Beschreibung von Prozessen. Es lässt sich klar erkennen, dass dieser Begriff seinen Ursprung im Wort „Kybernetik“ (Cybernetics) hat, jedoch damit mittlerweile wenig gemeinsam hat. Ziel dieses Essays ist es, die nähere Begriffsgeschichte des Wortes „Cyber“ einmal nachzuvollziehen und somit den Begriff etwas klarer umreißen zu können.
Kybernetik – Wo alles begann
Als Kybernetik bezeichnet man die Wissenschaft zur Steuerung technischer Geräte unter Berücksichtigung ihrer Ähnlichkeit zu lebenden Organismen (bspw. menschliches Gehirn oder Schwarmverhalten). Die Bezeichnung „Kybernetik“ als wissenschaftliche Disziplin geht auf Norbert Wiener und die 1940er Jahre zurück. Der Ursprung des Wortes ist griechisch („Kybernos“) und bedeutet dort so viel wie „Steuerung“, aber auch „Steuermann“. Wiener selbst nutze das Wort in seinem 1948 erschienenen Buch „Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine“. Aus der Kybernetik leiteten sich viele Forschungsfelder und technische Entwicklungsbereiche ab. Etwa die Steuerungs- und Regeltechnik, die Robotik, die Netzwerktechnik, später dann neuronale Netze, und nicht zuletzt die Forschungsfelder der künstlichen Intelligenz. Das Wort Kybernetik wurde aber auch zum Sammelbegriff für diese technischen Entwicklungen und trennte sich sukzessive vom hinteren Teil „-netik“. Ähnlich wie das „i“ in den Produkten von Apple (iMac, iPhone, iPod, …) verwandelte es sich in einen Marker für Begriffe aus dem Bereich des Digitalen, Virtuellen und Technischen. Einige Beispiele sind „Cyberkriminalität“, „Cybermobbing“, „Cyberpunkt“, „Cyberspace“, etc.
Counterculture – die 1960er
In der Gegenkultur der 60er entstand wohl das Bild der Formbarkeit der Welt durch Technologie. Die 60er waren nicht nur von den Wirren des Vietnam-Krieges geprägt, sondern auch von der Ambition des Wettlaufs zum Mond. Plötzlich konnte die Menschheit sprichwörtlich den Himmel erreichen und der plakative Satz „The sky is the limit“ hatte keine Bedeutung mehr. Aus dieser Gegenkultur der 60er Jahre ging die Bewegung der Technikbegeisterten Jugendlichen (Nerds) hervor, die bei der Entstehung und Verbreitung des Internets noch eine Rolle spielen sollten. Sie bewegten sich an den Grenzlinien von Hippie-Bewegung, jugendlichen Genius und zudem der Affinität zu Psychedelika. Einer von ihnen war Steward Brand, auf den wir noch zu sprechen kommen. Die Ideen von Steve Jobs und Steve Wozniak (Gründung von Apple) fand ihren Ursprung in der Gegenkultur. Man kann gewissermaßen die Geschichte der Cyber-Kultur, als eine Entwicklung aus der Gegenkultur erkennen.
Popkultur und Sci-Fi – die 1980er
Definition Cyberspace
Das Wort Cyberspace gehört zu der Sorte neu geformter Begriffe, die nur unter Betrachtung ihrer Entstehungsgeschichte Sinn ergeben. Erstmals von William Gibson 1984 in seinem Buch „Neuromancer“ erwähnt, beschrieb er damit damals „a virtual landscape made up of all the information in the world“. Cyberspace sei ein Ort bevölkert von „disembodied consciousness“ und vielmehr ein Ringen um Aufmerksamkeit und Zugriffsrechte, als eine tatsächliche Austragungsfläche von quasi-physischen Interaktionen. Diese Idee des körperlosen Bewusstseins ist uns heute absolut geläufig, doch in den 80ern war dies eine neue Erscheinungsform. Im 21 Jahrhundert ist man daran gewöhnt als Avatar in Chats, Messengern und anderen Diensten zu interagieren. Selbst der „Kampf“ um Zugriffsrechte ist real. Dies zeigt sich an Rechtevergaben wie „facebook admin“, „Netzwerk-Client“, „lokaler Server“ und vielem mehr. Wenn jeder User die gleichen Rechte im „Cyberspace“ hätte, dann würde das System auf hierarchischer Ebene nicht funktionieren (geschweige denn im technischen Support). Gibson bezog allerdings noch einen weiteren Typus der User mit ein, und zwar den „Hacker“. Bewusst positioniert als Gegenspieler der Unternehmen waren diese Rebellen der technisierten Zeit Freigeister und Pioniere, quasi die Freibeuter der digitalen See. Für ihn war der Cyberspace perfekt geschaffen zum Aushandeln gesellschaftlicher Prozesse.
Popkultur der 80er
Die Popkultur der 1980er Jahre war geprägt von einer gewissen Technisierung. Zwar gab es mit dem Genre Science-Fiction schon die Bemühungen futuristische Erzählungen zu verfassen, doch in den 80ern wurden diese im großen Stil auf die Leinwände der Kinos und die TV-Geräte der Wohnzimmer geholt. Zu den Klassikern gehören „Terminator“, „Knight Rider“, „Star Wars“, „Star Trek“ [1], „Captain Future“, und viele, viele mehr. Diese Erzählungen stellten keinen direkten Bezug zu den Ideen der Kybernetik her, sie verwendeten lediglich (reale oder fiktive) Technologien, die diesen Prinzipien folgten. Was sie allerdings taten, war eine ästhetische Basis zu schaffen für das, was wir heute als Cyberpunk oder auch Retro-Cyberpunk kennen. Darüber hinaus war die Fantasie der Autoren ein wichtiger Katalysator für die technischen Errungenschaften der dann folgenden Zeit. Der berühmte Kommunikator aus Star-Trek, als Vorläufer des Handys, reicht uns als einfaches Beispiel dazu.
Internet & Cyberspace (1990er)
Whole Earth Catalog
Das Internet, wie wir es heute kennen hat eine viel längere Geschichte als sich in den Medien und Regierungsbüros erzählt wird. Dieses Essay spart bewusst die detaillierte Entstehungsgeschichte des Computers an sich aus, widmet sich jedoch den Menschen, welche die Idee des Internets formten. Die Idee, dass man Computer programmierbar machen könnte, nahm mit Konrad Zuse und dem Z3 vom 1941 Gestalt an. Von dort aus katapultierte diese eine Erfindung die Menschheit innerhalb von achtundzwanzig Jahren auf den Mond. Heute, 82 Jahre später, hat sich an der Idee einer programmierbaren Maschine nicht viel verändert; die Chipsätze sind lediglich schneller geworden und die Schnittstellen haben an Bandbreite gewonnen. Erst die Bemühungen aus Bits und Bytes Bausteine zu machen, die mit Eigenschaften der Quantenmechanik arbeiten hat diese Idee grundlegend verändert.
Die Idee von Computern als Werkzeug, um die Welt zu formen gebar aber noch eine andere Sache: Die Nerds. In der Gegenkultur der USA der 60er sammelten sich nicht nur freiheitsliebende Hippies, sondern auch technikaffine Jugendliche. Einer von ihnen war der 1938 geborene Pionier und Unternehmer Stewart Brand.
Brand widmete sich den Anfängen dieser neuartigen Technologie und begann kurz nach seiner College-Zeit, Ende der 1950er Jahre, die unterschiedlichen Strömungen der Gegenkultur zu vernetzten. Aus diesen Bemühungen heraus entstand das Projekt des „Whole Earth Catalog“. Dieses Buch war eine bunte Sammlung des Weltwissens, was Steve Jobs später als „Google in Paperback-Form“ bezeichnete. Was den Whole Earth Catalog und seine periodischen Ausgaben auszeichnete war eine gewisse Anarchie der Kuration. Die Gestaltung kam aus der Gegenkultur und war für die Gegenkultur. Ohne Publisher, Zensur oder auch Autorität und passte damit perfekt.
Als sich Ende der 1980er abzeichnete, dass sich Computernetzwerke verknüpfen ließen und es sich endlich lohnte einen Universitätscampus mit dem anderen zu vernetzen, da wuchs auch dieses Netzwerk Brands. Er hob es mit dem digitalen Äquivalent, dem „Whole Earth ‚Lectronic Link“ (WELL) auf die nächste Stufe. Nutzer konnten nun viel schneller Beiträge beisteuern und Inhalte generieren. Diese Idee des von Nutzern erstellten Inhalts (user generated content) verlieh dem Ganzen den Charakter eines Organismus und war damit im ursprünglichen Sinne ein kybernetisches Netzwerk, bzw. eine kybernetische Maschine. Für uns heute ist die Idee von User generated content eine ganz alltägliche. Es gibt Social Media, Wikipedia, Foren, Blogs und so weiter. Wenn man jedoch ein Stückchen weiter heraus zoomt, dann ist das Internet insgesamt diesem Charakteristikum treu geblieben. Eric Schmidt, ehemals CEO von Google, nannte das Internet einst „das größte anarchistische Experiment in der Geschichte der Menschheit“.
Warum also Cyberspace?
Führt man sich diese Entwicklung der menschlichen Kommunikationskultur vor Augen, dann erschließt sich die Idee eines Cyberspace leichter. Cyber als Morphem, um die Verbindung zu Prinzipien der Kybernetik zu zeigen und space als virtuellen Raum. Die Idee eines programmierbaren, formbaren, quasi schwarm-intelligenten Meta-Raumes machte dies erst möglich. Für Menschen, die mit dem Internet aufwuchsen, war diese Idee eine völlig natürliche. Man „traf“ sich in Chaträumen, „besuchte“ seine Website, ja man „ging“ ins Internet. Alles Worte für eine Bewegung im Raum, nur eben nicht für einen physischen. Der Raum dafür hatte kybernetischen Regeln zu gehorchen und war damit der Bewegung in der Welt übergeordnet.
Das 21. Jahrhundert
Neulich drängte sich in einem Gespräch die Frage auf, warum es eigentlich das Wort „Cryptowährung“ gibt und warum es nicht „Cyberwährung“ heißt. Ohne die technischen Details einer Blockchain genauer beleuchten zu müssen liegt die Lösung im Offensichtlichen verborgen. Es geht um die Verschlüsselung von Information, nicht die Teilhabe einer Quasi-Schwarmintelligenz als formendes Element. „Cyber-„ist also nach wie vor ein eher kultureller als ein technischer Begriff. Wir finden Cyberpunk als Ästhetik, Cyber-Goth als Subkultur und auch andere kulturelle Phänomene wie Cybermobbing, Cyber-Warfare und einige andere. Nicht zu vergessen Dinge wie „TESLA Cybertruck“ und „Cyberpunk 2077“, „Cybersex“, „Cyber-Security“, … etc.
Cybermobbing als Sonderform der Gewalt
Mobbing als Gewaltform ist die physische oder psychische Gewalt einer Gruppe gegen ein einzelnes Opfer. Meist handelt es sich um eine kleine Gruppe tatsächlicher Täter und eine größere Gruppe von Mitläufern. Diese Formen der Gewalt tauchten bisher an Schulhöfen, seltener an Arbeitsplätzen auf. Mit der Verbreitung von Social Media entstand die digitale Variante des Ganzen. Als Cybermobbing bezeichnet man also die psychische Gewalt gegen ein Opfer mithilfe von Nachrichten, Posts, Ausschluss von Teilhabe (bspw. Gruppenchats) und vielem mehr. Die Tragweite des Ganzen ist manchmal ungleich größer als auf dem Schulhof, weil den Opfern das Gefühl von Sicherheit genommen wird. Wo sonst der Schulalltag aufhörte und man sich zuhause von den Mitschülern hatte erholen können, ist nun die Omnipräsenz eben genau dieser Menschen auf Social Media zu finden. Betroffene leiden deutlich mehr unter Cybermobbing, jedoch ist das strafrechtliche Feststellen von Cybermobbing als Tatbestand wesentlich schwieriger. Dass man hier auch von Cyber-Mobbing und nicht von bspw. digitalem Mobbing spricht geht ebenso auf den Charakter einer organisch handelnden Maschinerie, bzw. das Agieren im Cyberspace zurück.
Cyber-Warfare als Weiterführung internationaler Konflikte
Ebenso wie es Gewalt gegen einzelne Personen im Cyberspace geben kann, so verhält es sich auch mit internationalen Konflikten. Es lassen sich ganze Kriege mit den Mitteln digitaler Schädigung austragen. Mithilfe von Trojanern, Viren und ähnlichen, sich selbst replizierenden Programmen wird versucht den Gegner handlungsunfähig zu machen. Das Morphem „Cyber“ bezieht hier, neben der offensichtlichen Handlung als programmierbare Maschine, auch den Charakter einer organischen Lebensform (Virus) mit ein. Ohne zu Übertreiben sei darauf verwiesen, dass die Diskussion, ob Computerviren und biologische Viren der gleichen Kategorie zuzuordnen seien, tatsächlich stattgefunden hat.
Cyber als Ästhetik
Sucht man im Internet nach Cyber als Ästhetik, so finden sich viele Bilder von Netzwerk-Visualisierungen in leuchtenden Neonfarben. Mit Wortzusätzen wir bspw. Cyber-Punk wird das Ganze noch eine Stufe schriller. Es entstand über die Jahre eine Art futuristische Retro-Ästhetik. Diese bewegt sich farblich in den Gestaltungselementen der 80er und in Designelementen im Futurismus. Es sei an dieser Stelle konkret auf das Videospiel „Cyberpunk 2077“ von CD Projekt Red verwiesen.
Metaverse
Nicht direkt zur Wortfamilie „Cyber-“ zählend, jedoch den Prinzipien eines Cyberspace folgend ist die Bemühung des Unternehmens META[2] eine digitale Sphäre mit Elementen der Virtual Reality und Augmented Reality zu erstellen. Das Metaverse soll damit einen digitalen Raum schaffen, der durch den eigenen Avatar betreten werden kann. Die Interaktion mit anderen Avataren (Menschen) erfolgt dann durch Spracheingabe, Virtual-Reality-Brillen (bspw. Oculus Rift) und gängige Eingabegeräte wie Desktop-Computer, Smartphones, uvm. Damit entfernt sich das Metaverse ein Stück weit von der Idee des „Körperlosen Bewusstseins“ aus der Idee des Cyberspace nach Gibson. Es ist aber nach den Vorstellungen von META (allen voran Mark Zuckerberg persönlich) den Platz des bisherigen Cyberspace einnehmen und maßgeblich unsere Interaktionen miteinander über digitale Meta-Kommunikationskanäle beeinflussen. Welche Gestalt dies genau annehmen wird ist noch nicht vorhersehbar.
Cyber- und Elon Musk
2019 stellte Elon Musk als CEO des amerikanischen Autobauers TESLA das Modell des Cybertruck vor. Der kompromisslose Pick-Up schien viel eher einem 80er-Jahre Blade-Runner Filmset zu entstammen als einem Designstudio des 21. Jahrhunderts. Musk verheimlichte diese Parallele nicht, ganz im Gegenteil, er bestand persönlich auf diese Ästhetik. Als dann der zweite Prototyp des Modells im Frühjahr 2022 in Austin, Texas vorgestellt wurde, nannte das Unternehmen die Veranstaltung prompt „Cyber-Rodeo“ und warb mit entsprechenden Cyberpunk-Farben und Grafikelementen. Musk mit seinen Bemühungen, neben Elektroauto-Vertrieb auch die Menschheit auf den Mars zu bringen, bedient sich ganz bewusst der Cyber-Ästhetik. Der 1971 geborene Musk kam als Kind unter anderem mit der Science-Fiction von Isaac Asimov („Foundation-Cycle“) aber auch Blade Runner in Kontakt. Wie viele seiner Generation bewunderte er sicherlich die imaginierten technischen Möglichkeiten und machte sich daran, diese in die Wirklichkeit zu holen. Dem Cybertruck werden wahrscheinlich noch einige, ästhetisch ähnliche, Produkte folgen.
Konklusion
Cyber- als Morphem hat eine gewisse Eigendynamik erlangt, die je nach Kontext auch unterschiedliche Bedeutungen mitschwingen lässt. Von der ursprünglichen Idee der Kybernetik ist nur noch in gewissen Fällen und nach informierter Analyse etwas zu erkennen. Cyber- hat sich vom technischen, zum kulturellen und schließlich zum ästhetischen Begriff gewandelt; von der universell programmierbaren, organisch handelten Maschine (Norbert Wiener, 1941) bis zum futuristischen Elektroauto (Elon Musk, 2019). Wir können die Geschichte der Informationstechnologie des letzten und aktuellen Jahrhunderts auch als eine Geschichte der Cyber-Kultur nachvollziehen. Ohne die fantasievolle Wissbegierigkeit von Nerds, Autoren, Ingenieuren und Marketern, wäre die Gestalt des Internets heute eine andere. Nicht zu vergessen ist der bewusst anarchistische Rahmen des Internets als Relikt der Gegenkultur aus den 1960ern. Die Idee von der Gegenkultur zur Cyberkultur zu gehen war so integral für unsere heutige digitale Gesellschaft, dass wir sie mitunter übersehen. Cyber- als Morphem wird uns sicherlich begleiten. Es scheint so auszusehen, als würde es in manchen technischen Bereichen durch „Crypto-“ ersetzt, doch dies ist noch stark kontext-abhängig.
Was bleibt ist die Ästhetik. Aus den fantasievollen Träumen der 80er ist Technik zum Anfassen geworden. Cyber- ist ein Ausdruck von „the future is now“ und damit auch ein Symbol von Fortschritt und Errungenschaft. Die Welt als organisches Raumschiff, ganz im Sinne von Steward Brand.
[1] Obwohl schon früher veröffentlicht, ist es erst in den 80ern zu Berühmtheit gelangt. Star Wars stammt von 1977 und Stark Trek ist bereits 1966 ausgestrahlt worden.
[2] The artist formerly known as „facebook“.